Was waren das noch für Zeiten, als Harry Potter der meistgehypte Engländer auf dem Buchmarkt war. Jetzt ist es ein anderer Harry – und der zaubert außer Gejammer nicht viel hervor. “Reserve” (Spare) heißen die vermeintlichen Memoiren von Prinz Harry, der auszog, seine Familie das Fürchten zu lehren. So jedenfalls dürfte sich der Wahl-Amerikaner fühlen. So liest sich “sein” Buch.
Von der englischsprachigen Ausgabe der umstrittenen Autobiografie sind bereits am Veröffentlichungstag mehr als 1,4 Millionen Exemplare verkauft worden. Nun liegt auch das Hörbuch in der deutschen Fassung mit über wahnwitzigen 19 Stunden, gelesen von Steffen Groth, vor.
19 Stunden werden hier die über 500 Seiten eindringlich vorgelesen, die Harry mithilfe des Ghostwriters J.R. Moehringer verfasst hat. Und diese 19 Stunden sind ein erstaunliches Machwerk voller Gejammer, Vorwürfen und Unverständnis.
Er, der Spare (Ersatz) hinter dem kommenden König William, der zur Not seine Niere für den Bruder geben müsse (kein Scherz, das steht da so drin). Er, der Junge, der die kleinere Hälfte des gemeinsamen Zimmers bekommen habe… Das Buch ist eine unglaubliche Beschreibung eines vom zu frühen Tod seiner Mutter zutiefst traumatisierten (und zugleich verwöhnten) Menschen, der die Schuld ausschließlich bei anderen und nie bei sich selbst sucht.
Dramatisch und banal ? Dramatisch banal
Von dramatisch, wie: sein Vater Charles habe ihn nach dem Tod von Diana nicht einmal umarmt, bis banal (sein Bruder habe ihn in einer Kirche geschubst) – er nutzt die gesamte Klaviatur des verstoßenen zweiten Kindes.
Auch die berühmte Nazi-Uniform, die er 2005 zu einer Karnevalsparty trag, sei gar nicht seine Idee gewesen. William und Schwägerin Catherine hätten dem kleinen Prinzen dazu geraten. “Schuld sind immer die anderen” wäre ein passenderer Titel für das Opus gewesen, doch die Selbstreflektion ist nicht Harrys Steckenpferd.
Im Vorwort schon wird klar, dass Harry es nicht für möglich gehalten habe, seinem Bruder und seinen Vater viele Fragen persönlich zu stellen. Fragen, die er lieber in einem Buch auftischt. Oftmals versteht Harry Sachverhalte nicht, kann nicht nachvollziehen, warum sich seine Familie in bestimmten Situationen auf eine bestimmte Art verhalten hat. Fast immer sind es Fragen, die ein Psychologe in einigen Sitzungen mit dem Reservekönig beantwortet hätte.
Die “pikanten” Details seines Lebens sind schnell beschrieben: Kokain, Sex mit einer älteren Frau, Raufereien mit Bruder William.
Doch es gibt auch Positives: Das Hörbuch ist wirklich exzellent von Steffen Groth gelesen. Er ist ein Sprecher, den ich bisher nicht auf dem Zettel hatte. Schande über mein Haupt. Groth spielt zwischen preisgekrönten Filmen wie »Alles auf Zucker« und der renommierten Serie »Weissensee« in nahezu jedem Genre. Bekannt wurde er durch seine Hauptrolle in »Doctor’s Diary« und zahlreiche Fernseh- und Kinoproduktionen. Er arbeitet zudem als Synchron- und Hörbuchsprecher.
Und noch ein Lob: die vermeintlichen Erinnerungen sind wirklich herausragend geschrieben. Man könnte fast glauben, es sei eine Biographie…
Mimimi und du bist schuld: Harry zaubert ein schlimmes Machwerk hervor
die drei Punkte gebühren einzig und allein dem Ghostwriter und dem Hörbuchsprecher
Master Chief, Junge für alles, Fotograbenkämpfer und Textakrobat. Herausgeber und Erfinder.